Mercedes-Benz 190 E 2.3 Sportline, W201, Baujahr 1991, Dunkelblau

Nichts ist so beständig wie der Wechsel, sagt man. Und das kann ich bestätigen, kam ich doch so zu einem Wagen den ich eigentlich nie als begehrenswert auf dem Schirm hatte. Und der trotzdem zum besten Wagen den ich je besaß avancieren sollte. Acht Jahre und 200.000 schonungslose Alltagskilometer begleitete mich dieser treue Benz, und belohnte die Überwindung meiner anfänglichen Skepsis ("Ein 190er? Ein Opa-Auto??") mit schier unerschütterlichen Nehmerqualitäten und beinahe 100%iger Zuverlässigkeit.

Es war Herbst 2001, gerade waren ein paar schlechte Ereignisse in meinem Privatleben vorübergezogen, die als zwar an sich unwichtigen, aber dennoch nicht wegzudiskutierenden Nebeneffekt den Wegfall eines Allwetter-Aufbrauchsfahrzeuges  zur Folge hatten. Von Jetzt auf Gleich hatte ich "nur noch" meinen güldenen 280 SE Automatic von 1968 als Mobilie zur Verfügung. Das ging natürlich nicht - der Winter stand vor der Tür!

Also klapperte ich eher unmotiviert die Gebrauchtwagenplätze in den umliegenden Ortschaften ab und stand schließlich beim BMW-Händler in Walsrode vor einem Mercedes 190E. Top gepflegt und wenig Kilometer, aus 1. Hand. Das klang soweit schonmal gut. Aber es war der typische Seniorenwagen: gehüllt in  Goldmetallic (ok, das hätte noch zum 280SE gepasst, aber...) mit beigem Standardstoffinterieur - und sonst Nix. Ein hochbeiniger Nullausstatter wie er langweiliger nicht hätte sein können. Fast hätte ich mich dennoch überwunden, weil ich ja einfach nur eine zuverlässige Karre brauchte um über den Winter zu kommen. Dafür hätte man den nehmen können, aber... puh, so ein typischer Rentner-190er?

Doch dann sah ich drei Autos weiter einen zweiten 190er stehen. Abgemeldet, aber noch nicht für den Verkauf aufbereitet und ohne Preisschild. Hmmmm, 904-dunkelblau mit blauer Innenausstattung, sogar Karostoff-Sportsitze. Ach, es ist ja sogar ein Sportline-Modell, deshalb liegt er auch so tief und hat breite Reifen auf netten Gullideckel-Alufelgen... Oh, Fünfgang-Schaltgetriebe - nett! Was steht denn hinten dran...? Wow, ein 190E 2.3! Was hatter drauf.... 135.000km, sehr schön, und .... Lederlenkrad, elektrische Fensterheber, Außentemperaturanzeige, Schiebedach. Alles klar, da fragen wir doch gleich mal nach...

 

Ja, der 190er war gerade erst hereingekommen und noch nicht durchgeprüft. Im März 1991 als Wagen für die Frau des örtlichen Mercedes-Niederlassungsleiters ausgeliefert und nach 2 Jahren von einem älteren Herrn übernommen, der damit gelegentlich zu seiner Finka nach Spanien gefahren ist. Also gut ausgestattet, gut gewartet und viel Langstrecke - perfekt. Den Wagen konnte man ruhigen Gewissens auch ohne Aufbereitung kaufen, zumal dabei sowieso keine technischen Mängel beseitigt würden... Also zum "Durchreichpreis" von 7000 Mark könne ich den haben - und so wollte ich das -nach einer ansprechend verlaufenen Probefahrt- dann auch. 136PS, auch das sollte reichen. Her damit.

Eine gründliche Reinigung samt Politur folgte, Ölwechsel und sonstige Verschleißteile gecheckt, das wars.

Wie gesagt, ich hab das nie bereut. Ein wirklich agiles Gerät mit dem man sehr zügig unterwegs sein kann und sich dank sportlicherem Fahrwerk auch bei Dauervollgas auf der A7 sicher fühlt.

Zwei Monate später zog ich nach Hamburg, arbeitete aber noch im Dorf in der Südheide. Umso mehr bewährte sich sich dieser Wagen auf den Pendelfahrten, die stets im Eiltempo bewältigt wurden.

Der 2.3 gilt als der agilste unter den zivilen 190ern. Der 2.6 ist zwar nominell stärker, aber als Sechszylinder auch schwerer und kopflastiger. In Verbindung mit dem Sportline-Paket, also strafferem & tieferem Fahrwerk auf breiteren Reifen,  ergibt sich hier die ideale Kombination für Fahrspaß.

 

 

 

Steht nicht nur Spochtlein dran sondern ist auch Spochtlein drin! Ich habe noch eins draufgelegt und weiße Blinkleuchten vorn eingebaut. Sicher Geschmackssache, aber ich fand und finde, wenn man es "tuningmäßig" dabei belässt schaut´s auch gut aus.

So sauber blitzte dieser Wagen nur ein Mal während meiner Zeit. Im Rahmen einer ärgerlichen Kulanzangelegenheit mit der Mercedes-Niederlassung an meinem neuen Arbeitsort im Alten Land hatte man dem Benz dort eine porentiefe Komplett-Aufarbeitung innen/außen/unten angedeihen lassen.

Da musste ich doch gleich mal auf die nächste Wiese fahren und das bildlich festhalten, bevor er wieder zustaubt. Leider war es etwas zu grelles Licht an diesem sonnigen Mittag.

 

So sah der Wagen eigentlich sonst immer aus. Wie Autos, die immer nur unter der Laterne parken, halt so aussehen, mit der Zeit...

Der Lack der Motorhaube war zudem irgendwann völlig verbrannt, weil sich die Dämmmatte darunter in Millionen Bröseln nach und nach verabschiedete - und zwar durch die Lüftungsschächte ins Innere!

Das war weder besonders schön noch ungefährlich. Denn eines nachts, als ich mit Höchstgeschwindigkeit gen HH donnerte, öffnete ich die Frischlüftdüse und mir flog eine Schippe dieser Brösel mitten ins Gesicht und in die Augen...

 

 

Aber manchmal tat er mir in diesem Zustand dann doch wieder leid, weil er meine unpflegliche Behand-lung so gutmütig wegsteckte. Außer alle 10.000 km frisches 5W30 Synthetiköl, bei Bedarf neue Bremsteile oder Reifen, bekam er eigentlich Nix. Und darum packte es mich manchmal doch - und ich meine Poliermaschine aus....

 

 

...was auf der Motorhaube trotz aller Mittel und Geräte allerdings auch nichts mehr rettete...

 

 

 

 

 

 

Auch im Winter macht so ein Wagen Spaß - Heckantrieb sei Dank!

 

 

Und auch zum Transport sperriger Teile wie einer kompletten Flossen-Vorderachse muss  ja nicht immer ein Kombi vorgehalten werden...

Nun gibt es eigentlich nicht mehr viel zu diesem Wagen zu sagen. Bis auf ein paar Verschleißreparaturen (Luftmengemesser, Katalysator, Benzinpumpenrelais) tat er das, was man von einem Benz der 1980er/frühen '90er zu Recht erwarten kann: funktionieren. Selbst Rost war trotz ausbleibender Konservierungsmaßnahmen absolut kein Thema.

Ein Kombi wäre zwar manchmal noch praktischer gewesen, aber trotzdem habe ich so ziemlich alle Transportaufgaben mit dem 190er lösen können, dank original MB-Zubehör in Form eines Oris-Dachträgers samt Spanngurten. Ob nun Vorderachsen oder auch mal ein (leichtes) Sofa - für die innerstädtische Kurzstrecke kein Problem. Und natürlich die vielen Flossenersatzteile die zum Strahlen, Verzinken, Lackieren oder warum auch immer durch die Gegend karriolt werden mussten.

Eng wurde es nur ein Mal, als die frisch überholte Lederinnenausstattung der Flosse angeliefert wurde, wozu sich freundlicherweise Fa. Hauben Auf als Annahmeadresse überreden ließ. Wer die damaligen Räumlichkeiten im Normannenweg noch kennt, kann sich vorstellen, dass die zwei Paletten mit Lederwaren nicht eben lange in der Einfahrt stehen konnten. Und so musste ich spontan 2 Mal den Blaubenz wortwörtlich bis unters Dach mit den Lederteilen vollstopfen um sie in die 50km entfernte Schrauberhöhle zu verfrachten. Und zwar pronto! Aber der Blaue ließ auch das mit sich machen, ohne Blessuren im Inneren davonzutragen. Robust bis ins Mark.

Nun bin ich ja mit 191cm Bauhöhe nicht allzu zart geraten. Aber dennoch hatte ich in diesem Wagen, der ja auch Babybenz genannt wird, nie das Gefühl von Enge. Auch die etwas schmaler kontourierten Sportline-Sitze fand ich sehr angenehm und langstreckentauglich.

Aber nach gut 7 Jahren und fast genau 200.000 Kilometern stellten sich dann doch ein paar Wehwehchen ein, was den Motorlauf und die Startwilligkeit angeht. Mechanisch immer noch top, zickte die Elektronik hier und da, wenn er länger stand oder feuchte Witterung herrschte. Eine Fehlersuche ist ob der mannigfach möglichen Ursachen langwierig und teuer, und das wiederum nicht restwertgerecht.

Und auch die Randbedingungen hatten sich mal wieder gewandelt: Jobwechsel und Familiengründung hatten sich eingestellt, verbunden mit einem Umzug ins Bergische Land. Der 190er wurde somit zu eng, eine Familienkutsche mit Navi musste her, und so trennten wir uns im Mai 2009 bei Kilometerstand 333.900 für 800 Euronen von diesem treuen Gefährt(en). Immer noch rostfrei und an und für sich durchaus vorzeigbar (ok, bis auf die Motorhaube...).

Wenn ich den Käufer richtig verstand, erwarb er den Benz für einen Verwandten in der anatolischen Heimat, und fragte mich, ob er ihn denn wohl auf eigener Achse dorthin überführen könne. Ohne zu zucken habe ich das bejaht, mit bestem Gewissen!