Diesen altweißen Prachtschlitten, ein 280SE, beobachtete ich schon eine Weile in unserer Kleinstadt Barntrup. Die sogenannte "Alte S-Klasse" der Baureihen W108/W109 gefiel mir ja immer schon, weil sie so elegant und würdig, durchaus protzig, aber eben nicht so demonstrativ breitschultrig wie ihr Nachfolger (W116) daherkommt.
Seit einiger Zeit wurde dieser Wagen von einer Familie aus dem eingemeindeten Nachbardorf bewegt, genauer gesagt von der Frau Mama als Alltagskutsche genutzt. Ganzjährig bei Wind und Wetter wurden damit die Kinder transportiert oder Einkäufe erledigt. OK, dafür sind Autos ja nunmal gebaut.
Aber Oldtimern, gediegenen Modellen obendrein, billigt man ja eher eine seniorengerechtere Behandlung zu. Und so tat er mir einerseits leid, weil ich entsprechenden Substanzverlust schwer mitansehen kann. Andererseits aber war es schon auch ein cooler Anblick, wenn sich dieser Wagen durch tiefverschneite Straßen schob (sowas gab es Anfang der 90er noch, sogar in Lippe...), und dabei aus seinen Doppelscheinwerfern heraus das Schneegestöber erleuchtete, begleitet vom gedämpft-sonoren Sound des Sechszylinders..
Fiel schon in den 1980ern angenehm auf: die selbst-bewusste Front der Alten S-Klasse. Diese legte wohl den Grundstein für das einem Benz gern angedichtete Feature der eingebauten Vorfahrt.
Dennoch: es hat Stil - kein Vergleich zum allgegen-wärtigen Aggro-Look im heutigen Fahrzeugdesign.
Und es war wieder einmal im Frühjahr, als sich automobile Veränderungen anbahnten.... Im März 1995, ich hatte just mein Studium abgeschlossen und dementsprechend etwas Zeit zu überbrücken, bis sich die rechte Gelegenheit zum Berufseinstieg bot. Für die berühmte Weltreise fehlten gerade Budget und Begleitung, also war eher Geldverdienen im Straßenbau angesagt, so wie in den Semesterferien auch immer.
Aber nein, das Schicksal sah es anders: es sollte Geld ausgegeben werden. Schnell. Für Dinge, die man als angehender Jobeinsteiger dringend braucht. Wie alte S-Klassen, zum Beispiel.
Eines schönen Tages fuhr ich also zur Tanke wo schon mein Ford 15M saniert wurde, um frischen Treibstoff in den Turbodieselgolf zu füllen. Dort wurde immer noch mit PKWs gehandelt, bevorzugt mit Opel neuerer Bauart. Deshalb war der Fahrzeugbestand dort auch nie wirklich interessant für mich. Aber an diesem Tag, ja, da war dort plötzlich "ein Gesicht in der Menge", und zwar ein sechsäugiges! Da stand nun dieser bekannte 280SE!
Endlich mal Gelegenheit, ihn in Ruhe zu betrachten... Er sah aus wie immer, also völlig ungepflegt: innen mit allerlei Gedöns und Unrat auf den schwarzen Echtledersitzen, Zeugen einer bewegten Familiennutzung. Außen mit rostzerfressenen Raddeckeln auf den völlig abgefahrenen Rädern, und mit einem Lack so stumpf, dass man sich dran verletzen konnte. Einige Dellen und kleinere Rostansätze, klar. Schmutzig und mit persönlichen Utensilien bestückt, als wäre er nur kurz geparkt. Aber es hing ein Verkaufsschild drin: 4000,-DM. Hmmmmmmmmm..........
Selbstredend wurde sofort an der Kasse nachgefragt... Die Auskunft war aber recht dürr: wurde für einen neuen Corsa in Zahlung genommen, TÜV fast neu, sonst ist nichts über den Zustand und die Funktionstüchtigkeit bekannt. Wird verkauft so wie er ist ("nö, da wollen die nichts mehr rausräumen"), ohne jede Gewähr für irgendwas, ich solle ihn halt probefahren solange wie ich wolle.
Da sagt man ja nicht Nein... Das erste Mal eine S-Klasse unterm Hintern, herrlich! Allein das Starten des Motors war schon die reine Wonne. Und gleich das Wichtigste prüfen: das Schiebedach! Elektrisch angetrieben glitt es nach hinten, wie es soll. Da war der Kauf quasi schon beschlossen.
Aber gut, fahren wir halt noch ne Runde durch die Stadt, der Form halber. Natürlich war ich da schon völlig verblendet vom Gedanken ein solches Auto zu besitzen, aber mir fiel immerhin auf, dass der dürre Mittelschalthebel (verchromt mit kleiner Kugel obendrauf - super!!) in einer derart ausgelutschten Führung saß, dass er sich praktisch in jeder Richtung flach auf den Mitteltunnel legen ließ, und das Auffinden/Einlegen eines Ganges reine Glückssache war. Insbesondere, wenn es sich auch noch um den gewünschten Gang handelte!
Aber sonst? Er fuhr, er bremste, machte keine komischen Geräusche, das wohlriechende Leder knarzte behaglich, er leuchtete und blinkte - was sollte da noch schiefgehen?
3700,-DM später war der angeranzte Nobelbenz somit meiner. Wie geil!
Kaufvertrag gab´s keinen, nur einen Zettel vom Quittungsblock. Aber immerhin einen schönen alten Original-Pappbrief, aus welchem hervorging, dass der Benz 1968 an einen Hüttendirektor in Andernach ausgeliefert und 1980 von der Familie übernommen wurde, die ihn nun -scheinbar sehr erleichtert- für einen bonbonfarbenen Mini-Rüsselsheimer in Zahlung gab. Nun ja, doch das bedeutete: erst 2. Hand! Fein fein!
Aber wohin mit dem Geschoss? Für die anstehende Entlausung und Aufbereitung war Platz nötig. Viel Platz.
Der fand sich schließlich im elterlichen Doppelcarport meiner Ex-Freundin. Dort konnte ich Benz und Reinigungsutensilien ausbreiten, und meinen schweißtreibenden Aufgaben unbehelligt nachgehen. Und es floß viel Schweiß... Es kostete mich 3 Tage, mehrere Politurflaschen und etwa 8 Fingerkuppen, bis ich den Lack von Sandpapierhaptik wieder in eine geschmeidige Oberfläche in DB670 Hellelfenbein zurückverwandelt bekam.
Der Witz dabei: dieser Lack war nicht 27, sondern erst 6 Jahre alt! Dies ging aus einer Lackierer-Rechnung von 1989 hervor, die dem KFZ-Brief (als einziges weiteres Dokument) beilag.
Das Hellelfenbein entspricht dem früheren Taxibeige. Wer bestellt eine S-Klasse in Taxifarbe? Niemand, denn 1968 waren die deutschen Taxen noch schwarz...
Und heute sieht's dann seltsam aus. Aber man kann ja aus der Not eine Tugend machen! Ich hatte da noch ein altes Taxischild herumliegen, das habe ich etwas umgetextet, und schon war seltsam zu lustig geworden. Vor allem nachts, wenn es leuchtete, gab es viel zu lachen!
Grund für die Komplett-Neulackierung war, wie ich durch einen ansonsten eher unergiebigen Anruf bei den Vorbesitzern herausbekam, dass in jenem Jahr das Heck des Wagens wegen Rostbefall aufwändig saniert wurde, mit neuen Seitenteilen, Heckblech und Kofferraumboden. Wow! Da steckt jemand soviel Geld in so ein altes Auto - und dann wäscht er es anschließend nichtmal mehr? Sachen gibt´s...
In der Tat schienen die Karosseriebauer seinerzeit sauber gearbeitet zu haben, denn sowohl die Spaltmaße waren alle super, als auch die Versiegelung der Schweißnähte war top - kein Ansatz von Rost am Heck, trotz des harten Alltagseinsatzes seither. Die rostanfälligen Längsträger unterm Heck habe ich mir allerdings nie angesehen...
Was solls, der Benz sah nun wirklich wieder super aus! Auch innen, nach Entfernung des Unrats und der für Gebrauchtwagen üblichen Handvoll Kleingeld, gefolgt von (sehr) gründlicher Reinigung und Lederfettbehandlung, war ein wirklich ansehnliches Interieur wiederhergestellt.
Nur die verrotteten Radkappen waren beim besten Willen nicht wieder aufzuhübschen, nichtmal kosmetisch. So fuhr ich erstmal zum örtlichen Reifendienst, um mich nach Reifenpreisen zu erkundigen. Und nochmal war mir das Glück hold: da stand doch tatsächlich ein Satz Reifen herum, in passender Größe, mit gutem Profil, der für einen anderen Kunden verbimmelt werden sollte. Soweit, so gut. Der Kracher aber: diese Reifen waren auf sogenannten Barock-Alufelgen von Mercedes aufgezogen!! Originalzubehör! Und das Ganze auch noch fair bepreist - ich konnte es kaum fassen. Her damit!
Eigentlich mag ich diese Felgen auf den 60er-Jahre-Benzen nicht so gerne, und zu dem doch eher betulichen Hellelfenbein meines 280SE schonmal gar nicht. Das sieht aus wie Jopie Heesters in Sneakers. ABER. Wenn der Wagen schwarzes Leder mit Hasenohren-Kopfstützen besitzt, und mit der sportiven Option "Doppelscheinwerfer mit Nebel-Zusatzscheinwerfern" ausgestattet ist, ja dann... passen auch Barock-Alufelgen dazu. Gesagt, getan. Radkappen- und Reifenproblem in einem Aufwasch gelöst.
Ich bin mit dem derart gephönixten Wagen natürlich auch recht bald -schon allein weil der Tank irgendwie so schnell leer war- wieder bei unserer Tanke vorbei gefahren um mir dort außer 80 Litern Super auch eine gute Portion bassen Erstaunens, ungläubiger Blicke und anerkennenden Lobes einzupacken...
Wenn es ins Gesamtkonzept passt, dann gehen auch (Original-)Alufelgen auf einer S-Klasse im Sixties-Design als stilvol durch.
Das Heckdesign aus jenen Baujahren strahlt eine Art gediegener Lässigkeit aus, die es nicht nötig hatte, mit großformatigen LED-Lichtanlagen einen angeblichen Qualitätsvorsprung herbeizublenden.
Sowas nennt man wohl so schlicht wie zu Recht Understatement.
Auch der Innenraum wirkt im Vergleich zu heutigem Ausstattungs- und Bedienknopf-Wirrwarr angenehm aufgeräumt, ohne dabei karg oder ungemütlich daher zu kommen. Holz und Leder waren halt noch echt, und durften auch so duften. Die Chromteile sind aus, ja, eben verchromtem Metall, und nicht aus dünnbedampftem Plastik. Alles wirkt massiv und wertig - und ist auch so.
Es wurde also nun S-Klasse gefahren. Ja, so ließ es sich aushalten. Und das ging auch eine ganze Weile gut. Es kam sogar noch besser: in einem Preisausschreiben der Zeitung Oldtimer-Markt gewann ich Freikarten für den jährlichen Oldtimer-GrandPrix am Nürburgring. Diese Veranstaltung hatten mein Kumpel Marcus und ich schon mehrere Male besucht, waren immer vom Spektakel angetan, jedoch irgendwann von den Eintrittspreisen abgeschreckt. Aber mit Freikarten im Gepäck... konnte man ja mal wieder hinfahren, und natürlich bei der Gelegenheit auch mal die Langstreckenqualitäten des Zwoachtzigers testen, auch wenn an denen nun wirklich kein Zweifel besteht.
Allerdings setzt auch diese ureigene Benzqualität ein gewisses Maß an verantwortungsvollem Umgang bzw. wenigstens einer angemessenen Wartungsmentalität des Eigners voraus. Lässt Letzterer jedoch beides gleichsam vermissen, kann auch der Benz schonmal beleidigt reagieren...
Und so nahm diese an und für sich so verheißungsvoll positiv gestartete Aktion ein so unerwartetes wie unangenehmes Ende... Um es im eigenen Interesse abzukürzen (weil ich ungern daran denke): das OGP-Wochenende am Nürburgring war super. Auch die Hin- und Rückfahrt war völlig angenehm, der Reisewagen tat, was man von ihm erwartet: entspanntes wie souveränes Reisen ermöglichen. Man muss dazu sagen, dass ich es auch betont locker anging, und mit Blick auf das Spritbudget das Tempo um 140km/h pendeln ließ.
Etwa 120km vor dem heimatlichen Ziel juckte es mich jedoch im Gasfuß, und ich wollte die gefühlte Souveränität auch mal "in echt" erleben.
Spielend leicht beschleunigten die 160PS, die nächsten 50km beherrschten wir die linke Spur mit bis zu 195km/h laut Tacho, und ernteten erstaunte Blicke von der rechten Spur. Soooo....
Dann wieder etwas langsamer, um den Motor abkühlen zu lassen bevor es auf die Landstraße ging. Doch schon auf der Autobahnabfahrt war da plötzlich so ein rythmisches Bollern aus den Tiefen des Motors... Oh-oh!
Leider ging das Geräusch auch nicht mehr weg, und mit bangem Gefühl schlich ich die letzten 40km nach Hause... Montags dann nach Bad Pyrmont in die MB-Vertragswerkstatt gefahren und den berühmten "alten Meister" um Rat gefragt. Leider bestätigte er nur meine Vermutung: Motorschaden. Vermutlich ein Kolbenbolzen, möglicherweise war bei der "schnellen Etappe" der Ölfilm gerissen und der Bolzen hat gefressen. Eigentlich passiert sowas selten. Wie alt denn wohl das Motoröl sei? Äääähhhmmmm....
Scheiße! Ich hatte zwar immer schön nach dem Ölstand geschaut, aber es mal zu tauschen, das war mir nicht in den Sinn gekommen. Es muss jetzt zwar nicht zwingend daran gelegen haben, aber der Verdacht liegt schon ziemlich nah.
Ich hatte meinen ersten Sechszylinder in Grund und Boden gehetzt.
Es folgte eine Odyssee. Instandsetzung war mir zu teuer. Stattdessen fand ich telefonisch in Bayern einen gebrauchten Ersatzmotor. Der in Oldtimerkreisen bestens beleumundete Verkäufer hatte ihn stundenlang im Spenderwagen laufen lassen und bescheinigte reinen Gewissens, dass das neue Herz intakt sei. Also habe ich den Benz und den Motor in eine empfohlene Werkstatt nach Detmold gebracht, wo beide vereint wurden. Was hier so einfach in einem Satz heruntergeschrieben ist, umfasst in Wirklichkeit natürlich auch ein wochenlanges Hickhack weil irgendwas nicht passte, fehlte oder funktionierte, ist ja klar. Irgendwann lief er aber einigermaßen, und ich holte ihn ab um die Kosten nicht weiter ausufern zu lassen. Immerhin: in der Werkstatt ersetzten sie auch die Schalthebelführung, ein kleines Plastikteil für 5 Mark, und seither ließ er sich ohne Gerühre knackig-direkt schalten. Wenigstens etwas.
Dann folgte über Wochen und Monate eigenes Herumgeschraube an der Zündung und Steuerung, weil der Motor einfach immer wieder nach kurzer Zeit völlig versottete. Der Verteiler war unlösbar mit seinem Haltefuß zusammengerottet, ich musste beide zusammen austauschen, mehrfach die versifften Zündkerzen ersetzen, immer wieder Zündung und Verteiler einstellen, etc. etc. Ich bekam es nicht hin, Internet gabs noch nicht, also war ich ratlos im wahrsten Sinne. Es wurde Herbst und somit langsam ungemütlich im elterlichen Carport. Mit dem Wagen weiter als über die Gemeindegrenze zu fahren traute ich mich nicht mehr, es machte alles keinen Spaß - ich hatte die Schnauze voll. Irgendwann lief er gerade mal wieder einigermaßen, aber ich hatte das Vertrauen verloren und inserierte ihn in einschlägigen Anzeigenblättchen. Am 30.12.1995 erschien ein Herr aus Horn-Bad Meinberg, zeigte sich von den natürlich nicht verschwiegenen Motorproblemen relativ unbeeindruckt, fand auch nach der Probefahrt, dass er gut laufe, und nahm ihn für 4000,-DM mit. Er wollte ihn für seine Tochter flott machen.
Ich habe nie wieder etwas von dem Wagen gehört.
Damit war dieses Kapitel vom ersten S-Klassebenz so unrühmlich wie lehrgeldschwer zu Ende gegangen.
Doch natürlich war es ein unhaltbarer Zustand für mich, keinen Oldtimer besitzen und mit Liebe und Geld bedenken zu dürfen. Deshalb hatte ich vorgebaut, und mir bereits im November 1995 das nächste Spaßmobil an Land gezogen. Aber das ist ein andere Geschichte...