Mercedes-Benz 220 SEb 3.5 Coupé, W111, Baujahr 1964

INTRO

Nachdem meine noble Heckflosse fertiggestellt war, hatte ich für mich so feierlich wie unumstößlich beschlossen, ein derartiges Projekt definitiv, also wirklich nicht noch einmal auf mich zu nehmen. Keine Vollrestaurierungen mehr, jedenfalls nicht bei Automobilen vergleichbaren Kalibers. Überhaupt waren zusätzliche Mobilien bis auf Weiteres absolut kein Thema. Zum einen war ja nun erstmal das Traumauto nach 15 Jahren Arbeit endlich fertig, zum anderen standen im Folgejahr 2009 mit Hochzeit, Familiengründung und beruflicher Veränderung inklusive Umzug nach Mettmann andere Themen auf der Liste der Lebensstationen. Und da war die Zeit für flossige Betätigungen wie Wartung, Reparaturen und Ausfahrten schon knapp genug.

 

 

Flosse in Mettmann. Die Nummer geriet leider etwas sperrig, und nicht so passend wie in good ol' Hamburch.

Dem Fahrgenuss indes tat dies aber keinen Abbruch. Selbst wenn ab jetzt auch schonmal völlig stilbrüchige Kindersitze mit an Bord waren. Eigens dafür habe ich aber noch um so stilechtere 3-Punkt-Automatik-Gurte mit Chrombeschlägen und -schlössern nachgerüstet. Inkonsequenterweise allerdings konnte ich mich nie zu Kopfstützen durchringen.

So nach und nach kam ich aber wieder in ruhigere Fahrwasser. Die Flosse lief nun zuverlässig, im ungewohnten Familienalltag kehrte immer mehr Routine ein, im neuen Job war ich gut angekommen.

Ein paar Jahre waren ins Land gezogen und ... es kribbelte wieder ein bisschen in den Fingern.

Darum wagte ich ab 2012 doch mal wieder verstohlene Blicke in die Anzeigenspalten der einschlägigen Fachmagazine und virtuellen Handelsplätze. Für eine echtes Projekt fehlten natürlich nach wie vor die Kapazitäten, zeitlich wie finanziell. Und auch meine in Hamburg abgebrochenen Schrauberzelte, also die komplette Werkstatteinrichtung und Teilebestände, konnte ich in Mettmann nur mit Müh und Not in einem so gerade eben wettergeschützten Verschlag auf einem Baubetriebshof dicht gepackt verstauen. An Schrauben war nicht im Geringsten zu denken, und bezahlbare Scheunen oder Hallen sind im total zersiedelten Bergischen/Niederrheinischen absolute Fehlanzeige.

So stillte ich das aufkommende Fingerjucken zunächst mit einem total vernünftigen und daher argumentativ durchzusetzenden Dieselbenz. Der hatte immerhin den Vorteil, dass ich ihn täglich mehrere Stunden auf dem Arbeitsweg benutzen "musste".

 

Wenn ich mir vorstelle, ich hätte den täglichen Berufsverkehrs-Stau morgens wie abends um Düsseldorf herum auch noch in einem Neuzeitmobil ertragen müssen - ich wäre vermutlich durchgedreht.

Ein alter aber gesunder Mercedes-Diesel dagegen hält den Fahrer immer auf dem Teppich. Vermutlich waren diese Modelle auch deshalb so beliebt im Gewerbe der Mietdroschken.

Was hat das jetzt alles mit einem W111 Coupé zu tun? Nix, zugegeben. Ich wollte nur einen Spannungsbogen schlagen damit der geneigte Leser in etwa nachvollziehen kann, wie groß meine Erleichterung und kindliche Freude war, als ich das Projekt Coupé-Umbau starten konnte.

Dazu waren zwei Grundvoraussetzungen zu schaffen: schrauberische Möglichkeiten räumlicher Art, sowie noch viel wichtiger: die Zustimmung der Regierung! Beides wurde erst im Zuge einer weiteren, bislang letzten beruflichen und damit einhergehenden, räumlichen Veränderung möglich. Ende 2014 bot sich die verlockende Gelegenheit, in meine ostwestfälische Heimatregion zurückzukehren. Es war wie eine Erlösung in jeder Hinsicht, für alle Beteiligten. Wir waren im Bergischen nie so recht heimisch geworden. Die Leute dort sind herzlich, viel zugänglicher als in Hamburch (oder in Ostwestfalen...), aber die quasi lückenlose, verkehrstechnische wie wohnbauliche Erschließung der ganzen Gegend war uns immer ein Graus.

 

Als in 2012 die Gedanken ab und an wieder dahin abschweiften, welches Auto denn wohl einerseits finanziell erreichbar, andererseits schon auch "nett" wäre, landete ich relativ zügig wieder bei den Merceden der 1960er Jahre. Nicht nur, weil die Autos der 60er ja generell stilistisch einfach meine Favoriten sind. So gesehen gäbe es weitaus mehr Modelle auch anderer Hersteller, die in die engere Wahl hätten kommen können. Doch mit Benzen kannte ich mich durch mein flossales Intensivprojekt halt schon recht gut aus. Die Modelle dieser Dekade sind technisch alle sehr eng miteinander verwandt, teilen sich z.B. die quasi gleiche Bodengruppe. Dies bedeutete, dass ich das Flossenwissen sowie viele der bei mir noch vorhandenen Ersatzteile, die Fachliteratur und Werkzeuge, und nicht zuletzt das bestehende Schraubernetzwerk wieder- bzw. weiterverwenden kann. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber dem Betreten eines Marken-Neulandes.

 

 

Also vielleicht mal Vorkriegsware?

 

Nee, irgendwie zu "spradderig", und ganz sicher nicht so einfach zu händeln  wie der Name verspricht:

Mercedes-Simplex 40PS.

 

 

 

 

 

Dieses Fahrzeug hier wurde im Jahre 1902 an einen gewissen Herrn Milliardär William K. Vanderbilt II. ausgeliefert und ist nebenbei der älteste original erhaltene Mercedes überhaupt.

Es sollte aber schon gern eine andere Karosserieform als die der Flosse sein, gern ein zweitüriges Modell. Ein Cabrio wäre natürlich ganz oben auf der Wunschliste gewesen, aber ein W111- oder W112 Cabriolet befand sich schon gefühlte Jahrzehnte außerhalb meiner Reichweite, egal in welchem Zustand. Auch die W113-Typen, also die Pagoden-SL waren inzwischen in Preisregionen abgedriftet, die ein Normalschrauber mit familiären Verpflichtungen kaum stemmen kann. Hier hatte ich den Zug um wenige Jahre verpasst, denn ich kann mich noch gut an einigermaßen taugliche SL-Restaurierungsobjekte erinnern, die in den Nullerjahren zwischen 15- und 20.000€ angeboten wurden. Dafür bekommt man inzwischen kaum mehr als eine ausgeschlachtete Ruine, von der man nur noch die Fahrgestellnummer retten kann. Oder soll.

 

 

 

Leider schon länger "out of reach": ein Pagoden-SL. Und dabei macht der wirklich richtig Spaß, wie ich im wahrsten Sinne erfahren durfte.

 

 

Hier ein 280SL aus dem Bestand des Classic-Centers Fellbach, der mal für eine flotte Ausfahrt ins schwäbische Umland zur Verfügung stand.

Wie gern hätte ich mir eine schön heruntergekommene Pagode an Land gezogen. Denn eine wichtige Prämisse des neuen Projektes war bereits klar definiert: es wird keine Restaurierung! Es soll im Gegenteil ein Auto sein, das -bei technisch einwandfreier Funktion- durchaus gebraucht bis ranzig aussehen darf und soll!

Einerseits hält dies die Kosten im Zaum, und zweitens soll dieses Auto ohne Infarktrisiko für die allltägliche Nutzung zur Verfügung stehen, also bedenkenlos auf Großparkplätzen oder abends in der Innenstadt abgestellt werden können. Selbst zuhause wird es unter freiem Himmel stehen müssen.

Ein zweites Hätschelmobil á la Flosse soll es gerade nicht werden.

So geriet das W111/W112 Coupé in meinen Fokus. Vom Design her so ziemlich das gelungenste was beim Daimler nach dem Krieg vom Stapel gelassen wurde. Entsprechend beliebt ist es bei Oldtimerfans und auch weniger autoaffinen Betrachtern.

Und: zwar nicht unbedingt bei Fähnchenhändlern, aber doch noch in großer Zahl als Restaurierungsobjekt zu vertretbaren Kursen zu finden.

 

 

Diese Coupés und ihre Schwestermodelle, die Cabrioletversionen, wurden -abgesehen vom staatstragenden Mercedes 600 W100- als letzte Baureihe noch zu weiten Teilen in Handarbeit gebaut. Dadurch passen die Karosserie- und Anbauteile eines Wagens nur mit Glück an einen anderen. Auch Neuteile müssen meist erst entsprechend angepasst werden.

Oben das exzellent in Eigenleistung restaurierte 220SEb Coupé meines Freundes Paul Meier. Ein wirklich wunderschönes Hochkühler-Modell von 1961.

Ja - apropos: wenn, kam nur ein Hochkühler-Coupé in Frage. Die Baureihe bekam Ende 1968 eine sogenannte Modellpflege, also ein Facelift verpasst, bei dem als augenfälligste Modifikationen die Stoßstangen mit Gummiprofilen belegt, sowie eckige Scheinwerfergläser eingesetzt wurden. Vor allem aber erniedrigte man die Kühlermaske um einige Zentimeter - und damit m. E. einhergehend das gesamte Frontdesign.

 

Und so sah das dann aus. Oder gerade nicht. Flachkühler macht Laune? Mir jetzt nicht sooo...

Hier übrigens im vollen US-Export-Ornat, also mit Sidemarkern und  frontalen Positionslampen anstelle der dort eigentlich üblichen Zusatz-Nebelscheinwerfer.               

Die Doppelscheinwerfer sind in USA Standardausrüstung gewesen.

 

Mit dieser zweifelhaften Maßnahme wollte man die optische Angleichung an die 1965 erschienene S-Klasse W108/W109, wie auch an die soeben vorgestellte Mittelklasse-Generation der Strichacht-Typen W114/W115 erreichen.

Andererseits erschien mit der Flachkühler-Umgestaltung auch ein neue Motorisierungsvariante, nämlich der 280SE mit 3,5 Liter-V8 und 200PS! Sehr reizvoll! Das wär´s doch!

Oder doch wieder ein edler 300SE...? Hm.

Also befand ich mich ab sofort in einem Gewissenskonflikt. Entweder ein unstrittig schönes, hochgekühltes  Auto mit kommodem Antrieb durch 120 bis 170PS aus sechs aufgereihten Zylindern, oder ein mir gar nicht so wirklich gefallendes Auto mit dafür umso souveränerer Leistungsentfaltung, aber fliehender Stirn?

Ein Umbau von Flach- auf Hochkühlerfront ist mit recht aufwändigen Karosseriearbeiten verbunden. Nicht meine Kompetenz und daher keine Option. Außerdem wäre dann auch eine Lackierung fällig, was ebenfalls hinsichtlich Kostenaufwand und gewünschter Patinaoptik ein nicht-geh war.

Am Ende wurde mir die Entscheidung bezüglich Zielobjekt vom Markt abgenommen:  mein Budget war eindeutig familienverträglich definiert, und  ein W112 300SE Coupé dafür nicht in brauchbarem Zustand zu finden. Das echte 3.5er Coupé war just in jener Zeit zum Spielball von spekulierenden Anlegern geraten, warum auch immer, und dementsprechend preislich grotesk durch die Decke gegangen. Ein solches Coupé in Topzustand restauriert, für über 250.000€?? Oder als Cabriolet für über 450.000€ - halloo!? Selbst völlige Wracks wurden damals blind am Telefon für 20.000€ gekauft, wobei hier möglicherweise manchmal wirklich nur die "saubere" Fahrgestellnummer von Interesse war...

 

Ein Auto wie das hier links abgebildete, entsprach damals wie heute meiner Idealvorstellung von einem Basisfahrzeug. Ein gut abgehangenes Exemplar aus trockenen Gefilden wie z.B. Californien oder Arizona. Autos von dort sind in der Regel mit vielen Extras ausgestattet und haben unter der sonnengegerbten Oberfläche ein zwar UV-Strahlen-zerstörtes Interieur, aber auch eine praktisch rostfreie Blechsubstanz. Eine für mich auch deshalb wichtige Eigenschaft, weil ich weder schweißen noch spenglern kann. Und auch nicht will, denn Blechreparaturen im Sichtbereich würden wiederum (s.o.) eine neue Lackierung bedeuten, was nicht nur an sich teuer ist, sondern unweigerlich immense Folgekosten für wenigstens halbwegs gute Chromteile und ansehnliches Interieur nach sich zöge. Und schon hätte man hinterher wieder ein "schönes" Auto - was ich aber definitiv gerade nicht will.

Sprechen wir es ruhig aus: ich will so etwas wie eine "Ratte" haben. Optisch grenzwertig, aber technisch 100% fit. Wobei ich mich da nicht nach den inoffiziellen Vorgaben der Ratrod-Szene richten möchte, wie eine Ratte üblicherweise  "auszusehen hat": mit künstlich geschaffenen, rostbraunen Oberfächen, Sonnenschuten, roten Felgen, o.ä.

Das wäre mir schon wieder zu uniform.

Nein, mein Coupé soll ungefähr so aussehen wie die (tatsächlich kaputten) auf den Bildern hier, nur halt in verkehrssicher und innen ohne Ekel "bewohnbar".

Nun sind jedoch genau solche Autos inzwischen selbst in den USA kaum noch aufzutreiben. Es gab Zeiten, so vor 15-20 Jahren, da stand sowas dort noch wortwörtlich stapelweise auf Schrottplätzen(!) herum...

Also musste ich zusehen, wie ich in Deutschland oder dessen Nachbarstaaten ein Coupé finde, welches bestmögliche Karosseriesubstanz sowie Vollständigkeit bei ansonsten zweitrangiger, optischer Erscheinung zum geringstmöglichen Preis bietet. Und ein Schiebedach, logisch. Es kristallisierte sich relativ bald heraus, dass es unter diesen Vorgaben höchstens ein frühes Modell, also ein 220SEb werden würde. Optisch für mich ja genau richtig, aber der Preisvorteil des 220ers erklärt sich einerseits aus der größten gebauten Stückzahl unter den Coupévarianten, und andererseits aus der mit 120PS eher gemächlichen Kraftentwicklung beim Vortrieb.

Und selbst dann würde -innerhalb des mir gesetzten Preislimits- auch nur ein stark renovierungsbedürftiges Exemplar zu bekommen sein.

Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich eine weitere Idee: wenn es eh ein insgesamt schlechtes Basisauto werden wird, welches ich aber auch sowieso nicht hübsch machen will im Sinne einer Restaurierung - warum es dann nicht auch gleich auf die Wunschmotorisierung, den 3.5 Liter-V8 umbauen?

Und wenn man schonmal dabei ist: eine 5-Gang-Schaltung, sowie eine andere Hinterachse mit langer Übersetzung auch mit rein, für entspanntes Reisen!

Jetzt war das Projekt also klar definiert: eine Hochkühler-Ratte mit Technik-Upgrade auf V8-Motor, kombiniert mit 5-Gang-Schaltgetriebe. Damit konnte sowohl die Jagd auf ein passendes Basisfahrzeug wie auf die benötigten Technik-Komponenten konkretisiert werden, als auch die Herausforderungen eruiert werden, die mit diesem Umbau unweigerlich einhergehen werden.

Vor allem meine Recherchen und Fragen im Clubforum förderten eher Zweifel und Bedenken zur grundsätzlichen Machbarkeit zutage. Es drehte sich dabei hauptsächlich um diese zwei Punkte: der Kardantunnel ist zu eng für das seitengesteuerte Getriebe und die mächtige V8-Kupplungsglocke. Und der breitere V8-Motor hat nicht genug Platz im Sechszylinder-Motorraum, weil der Ventildeckel mit dem Bremskraftverstärker kollidiert. Im echten V8-Coupé sitzt der BKV nämlich deshalb etwas versetzt.

Es schien sich dabei aber vornehmlich um theoretische Denkansätze zu handeln, denn ein Umbau in der von mir angedachten Konstellation existiert offensichtlich noch nicht. Es gibt bereits V8-Umbauten diverser W110, W111 und auch W112, aber dann war entweder ein tiefer Eingriff in die Karosseriestruktur und/oder ein Automaticgetriebe im Spiel. Oder einfach sehr viel Geld, das solvente Besitzer entsprechend beauftragten Spezialbetrieben zur Lösung dieser Aufgabenstellung überantworteten.

Mir ist nur eine 112er-Flosse bekannt, die in reiner Eigenleistung auf geschalteten 3.5er-V8 umgebaut wurde. Zufällig sitzen die beiden Schöpfer häufig am MB-Stammtisch Bielefeld, was mir sehr gelegen kommt...

 

 

Der V8-Umbau vom Team Miedza aus Bielefeld. Hier wurde  der 3.5er mit D-Jetronic samt originalem MB-V8-Viergang-Schaltgetriebe in die 300er Flosse transplantiert.

Es gab jedoch auch Meinungsäußerungen von ernstzunehmenden Kollegen, dass es eigentlich - unter gewissen Voraussetzungen -  gehen müsste, was ich da vorhabe. Na also! Mir ist bewusst, dass so ein Umbau ohne  Anspruch an Originalität und tolles Finish definitiv keine Wertsteigerungsmaßnahme darstellen wird. Daher bin ich auch zu substanziell irreversiblen Eingriffen bereit, zumal ich ja schon aus vorgenannten Gründen eh kein wirklich "gutes" Auto in die Finger bekommen werde.

Somit entschloss ich mich, nach dem Motto "Versuch mach kluch" selbst herauszufinden, ob es mir als Hobbyschrauber möglich ist, so ein spezielles Gefährt auf die Räder zu stellen - und legal auf die Straße zu bringen. Mit H-Zulassung, wenn´s geht. Wenn schon, denn schon.